Kolpingsfamilie Güntersleben

1951 – 2021 

Kolping kommt nach Güntersleben

Im Oktober 1949 hieß Güntersleben seinen neuen Pfarrer Josef Nosse willkommen. Auf seiner vorangehenden Kaplanstelle in Eltmann hatte er bei der dortigen Kolpingsfamilie die Ideen und das Werk Adolph Kolpings kennen und schätzen gelernt. Das brachte ihn auf den Gedanken: Warum nicht auch in Güntersleben? 

Kaum zwei Monate nach seiner Amtseinführung lud er noch vor Weihnachten 1949 eine Gruppe junger Männer zu sich ein, alle um die 20 Jahre alt. Aus dem ersten Kennenlernen wurden wöchentliche Treffen. Im Sommer 1950 fuhr die Gruppe zur Einweihung des Kolpinghauses nach Eltmann. Nach ihrer Rückkehr stand fest: Wir gründen auch in Güntersleben eine Kolpingsfamilie.

Vereinsgründung 1951

Der 8. April 1951 wurde als Termin für die Vereinsgründung bestimmt. Die Feierlichkeiten begannen am Vorabend mit einer Festveranstaltung im Gasthaus „Zum Hirschen“, das man sich als Vereinslokal gewählt hatte. Nach dem Festgottesdienst am Sonntag traf man sich am Nachmittag wieder in der Kirche zur Aufnahme der ersten 25 Mitglieder. Danach präsentierte sich der neue Verein bei einem Festzug durch das Dorf zum ersten Mal der Öffentlichkeit, wie auch dann nochmals am Abend mit dem Theaterstück „Die schöne Müllerin“, wiederum im Hirschen. 

Als Gründungssenior, wie der Vorsitzende damals noch hieß, war Hermann Müller vorgesehen. Doch nach einem schweren Verkehrsunfall konnte er das Amt nicht übernehmen. Er erlebte den Gründungstag im Krankenhaus und starb vier Monate später. An seiner Stelle wurde Andreas Kuhn zum Gründungssenior gewählt. 

Gründungsurkunde
Der Gesellenverein

Obwohl schon 1933 die Umbenennung der Gesellenvereine in Kolpingsfamilien erfolgt war, galt auch bei der Gründung der Kolpingsfamilie Güntersleben noch, dass nur Männer Mitglieder werden konnten. Zeitgleich bildete sich jedoch eine Gruppe junger Frauen, die fortan – ohne förmliche Vereinsstruktur – als Kath. Mädchenjugend neben der Kolpingsfamilie auftrat. 

Die Mädchenjugend hatte ihr eigenes Programm und trat auch nach außen getrennt auf. Aber von Anfang an gab es eine enge Zusammenarbeit auf vielen Gebieten. Viele Vorhaben, wie die Theateraufführungen oder später die Angebote für Senioren waren ohne die Mitwirkung der Frauen und Mädchen gar nicht denkbar.  

Die Mädchen waren zwar keine Mitglieder, aber von Anbeginn dabei. Mit guten Gründen kann man daher sagen, dass Kolping in Güntersleben zwei Wurzeln hat: Die 1951 von jungen Männern gegründete Kolpingsfamilie und die Kath. Mädchenjugend. 

Das Kolpinghaus

Als im Herbst 1951 die Schule in ein neues Gebäude, das heutige Haus der Generationen, umgezogen war, nutzte Pfarrer Nosse die Gelegenheit, mit Unterstützung von Bürgermeister Karl Kunzemann, aber gegen anhaltende Widerstände im Gemeinderat, das alte Schulhaus am Kirchplatz für die Kirchenstiftung zu kaufen. In vielen unentgeltlich geleisteten Arbeitsstunden renovierten die Kolpingsöhne das 1838 errichtete Gebäude und richteten es zu einem Jugendheim her. Am 18. Juli 1954 wurde es feierlich eingeweiht und Kolping in Güntersleben hatte ein eigenes Heim. 

Immer wieder wurde seitdem an diesem Haus gebaut, unter großem persönlichem Einsatz vieler Mitglieder. 1969 wurde im Untergeschoss der Kolpingkeller eingerichtet. 1972 wurden in der bisherigen Hausmeisterwohnung weitere Gruppenräume eingerichtet und der Saal vergrößert. 1981 wurde das Haus generalsaniert und dabei weitgehend entkernt; die Küche und das Treppenhaus wurden in einen Anbau verlegt. Über 100 freiwillige Helfer leisteten damals über 10.000 unbezahlte Arbeitsstunden. Seit 2014 ist durch einen Aufzug das Kolpinghaus auch barrierefrei zugänglich. 

Ungeachtet der damit verbundenen Belastungen ist das Haus mit den Möglichkeiten, die ihr von der Kirchengemeinde im Umgang damit eingeräumt werden, von unschätzbarem Wert und hat fraglos ganz erheblich zu der erfolgreichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte beigetragen. 

Frauen bei Kolping

1966 machte der Zentralverband des Kolpingwerkes den Weg für die Aufnahme weiblicher Mitglieder frei. Vier Jahre später war es auch in Güntersleben so weit. Nach leidenschaftlichen Diskussionen, an deren Ende nur eine äußerst knappe Zustimmung stand, wurden am 3. Mai 1970 die ersten beiden Mädchengruppen in die Kolpingsfamilie aufgenommen. Damit war der Gesellenverein Geschichte. Kolping in Güntersleben wurde die familienhafte Gemeinschaft, wie sie heute in der Vereinssatzung beschrieben ist. Sieben Jahre später wurde mit Juliane Amthor die erste Frau zur Vorsitzenden gewählt. Und noch einmal 20 Jahre später war Parität erreicht. Seit 1997 hält sich ziemlich gleichbleibend die Zahl der männlichen und der weiblichen Mitglieder die Waage. Bemerkenswert auch, dass das bisher einzige Ehrenmitglied der Kolpingsfamilie Güntersleben mit Johanna Kuhn eine Frau war. 

Kolping für alle Generationen

Dass die Kolpingsfamilie dem in ihrer Satzung formulierten Selbstverständnis einer generationsübergreifenden Gemeinschaft gerecht wird, zeigt der Blick auf die Altersstruktur. Bei 45 Jahren liegt der Altersschnitt der Mitglieder und damit deutlich unter dem vieler anderer Vereine. Mit Hermann Kuhn starb 2021 das letzte Mitglied aus der Gruppe, die bei der Gründung dabei war. Seitdem sind immer wieder neue Gruppen mit jungen Menschen nachgekommen, die sich für das begeistern, was Kolping ihnen zu bieten hat. Dazu gehören heute auch für die Jugend schon eigene Gestaltungs- und Entfaltungsmöglichkeiten mit einer selbst gewählten Leitung, Mitspracherecht im Gesamtvorstand, eigener Kasse und selbstverwalteten Räumen. 

Wie die Jugend ihr eigenes Programm mit Gruppentreffen, Zeltlager, Fastnachtssitzungen, Beiträgen zum Kirchplatzfest oder zu Seniorentreffen und Aktionen wie Altpapiersammlungen und vieles andere das Jahr über gestaltet, so gibt es auch für jungen Erwachsenen und die älteren Mitglieder vielfältige Angebote, die von Geselligkeit und Freizeit bis zu Kultur und Bildung reichen. Und es gibt auch immer wieder die Begegnungen zwischen allen Altersgruppen wie beim Kolpinggedenktag. 

Christliche Bildungs- und Aktionsgemeinschaft

Das heute weltweite Kolpingwerk wurde von dem katholischen Priester Adolph Kolping gegründet. Nach Güntersleben kam Kolping durch den damaligen Ortspfarrer Josef Nosse. Wie er standen auch alle seine Nachfolger, wie jetzt Pfarrer Bernd Steigerwald, im Amt des Präses unserer Kolpingsfamilie als geistliche Begleiter auf ihrem Weg durch die Jahre zur Seite. 

Kolping sieht sich also der katholischen Kirche besonders verbunden und gefordert, die Grundwerte der katholischen Soziallehre in die Gesellschaft zu tragen. Die Pfarrgemeinde bei ihren Aufgaben zu unterstützen und mitzutragen, versteht sich daher auch für die Kolpingsfamilie in Güntersleben von selbst. Zwar werden die traditionellen Formen kirchlichen Lebens gerade auch bei jüngeren Mitgliedern heute lockerer oder auch distanzierter gesehen als es die älteren Mitglieder noch kennen. Was aber letztlich zählt, ist die gemeinsame Werteorientierung, die unverändert zum Markenkern von Kolping gehört und zu der sich die Vereinsangehörigen durch ihre Mitgliedschaft und ihre ideellen und materiellen Beiträge bekennen.

Nach ihrer 1996 geänderten und 2014 erneuerten Satzung versteht sich Kolping in Güntersleben nicht mehr, wie es vorher noch einengend hieß, als katholische, sondern als christliche Bildungs- und Aktionsgemeinschaft. Damit wurde nachvollzogen, was hier schon lange gängige Praxis war: Dass nämlich auch evangelische Christen in der Kolpingsfamilie mittun und Mitglieder werden können. 

Kolping in der Gemeinde

Verlässlicher Staatsbürger zu sein, wie es die Gründungsurkunde fordert, heißt für die Kolpingsfamilie vor Ort: Mit Veranstaltungen und Aktionen das Gemeindeleben mitzugestalten. Vieles davon ist zum festen Bestandteil im Jahreslauf der Gemeinde geworden.

Im Theaterspiel versuchten sich in den beginnenden 1950er Jahren auch andere Vereine; aber nur bei Kolping wurde daraus eine dauerhafte Tradition, die bis heute ungebrochenes Interesse findet. Neuland betrat Kolping 1959 mit dem ersten Altenehrentag; als Tag der Generationen findet er nach wie vor jedes Jahr statt, seit 1971 ergänzt durch monatliche Seniorentreffen. 1960 ging die erste Elferratssitzung über die Bühne, bis 1989 eine regelmäßige Veranstaltung und danach fortgeführt durch die Kolpingjugend mit ihrer Dreiradtsitzung, zu der man nur mit viel Geduld und etwas Glück eine Eintrittskarte ergattern kann. Sie liefert damit weiter die Bestätigung, dass Humor und Frohsinn mit Niveau auf Dauer mehr Freunde finden als billiger Klamauk. 

Die Aufzählung lässt sich fortsetzen mit dem Kolpingball, dem Kirchplatzfest, den Trachtengruppen bei der Maibaumaufstellung. Zur Pflege und Bewahrung dörflichen Kulturgutes gehört neben der einzigartigen Trachtensammlung vor allem auch die Renovierung von Bildstöcken und historischen Denkmälern. 

Seit jeher hatte Kolping einen wachen Blick für neue Aufgaben und notwendigen Handlungsbedarf, gerade auch im sozialen Bereich. 1973 wurden die Gastarbeiter am Ort zum Kolpinggedenktag eingeladen. 1994 wurde eine Hausaufgabenbetreuung für die Kinder von Aussiedlerfamilien eingerichtet und dann auch Sprachförderung für Asylbewerber und Flüchtlinge angeboten.  

Wenn Güntersleben sich heute zu Recht eines vielfältigen, von bürgerschaftlichem Engagement getragenen Gemein­schaftslebens rühmt, dann ist Kolping als Ideengeber und Akteur unübersehbar dabei.

Verantwortung im größeren Verband und für die Eine Welt 

Das Engagement der Kolpingmitglieder endet nicht an der Ortsgrenze. Seit dem Jahr 2000 kommen die Diözesanvorsitzenden, erst Ernst Joßberger und dann Dorothea Schömig, aus Güntersleben. Weitere Leitungsfunktionen auf der Bezirks- und der Diözesanebene wurden und werden von Angehörigen der Kolpingsfamilie Güntersleben wahrgenommen. Und seit einigen Jahren ist unsere Kolpingsfamilie auch im Bundesvorstand vertreten. 

Über dem Blick auf das Nächstliegende hat Kolping in Güntersleben schon immer auch seine Verantwortung für die Eine Welt und die Menschen gesehen, die nicht das Glück einer sicheren Existenz in Frieden und Freiheit kennen. Genannt seien hier nur die zahlreichen Hilfsaktionen und Arbeitseinsätze für Länder in Afrika, für Polen und Rumänien, wobei aus letzterem eine dauerhafte Partnerschaft mit den Kolpingfreunden in Schäßburg hervorging. 

Kolping Güntersleben heute

Die Kolpingsfamilie Güntersleben hat, verstärkt seit der Zulassung von Frauen, stetig an Mitgliedern zugenommen. Bis 1970 noch auf einem Stand von unter 100, war 1980 die Schwelle von 200, 1990 von 300 und 1995 von 400 Mitgliedern überschritten. Seit 1998 hält sich die Mitgliederzahl stabil bei über 500. Güntersleben liegt damit im Diözesanverband ganz weit vorne. Die Anteile von männlichen und weiblichen Mitgliedern sind seit Jahren gleich groß. Knapp ein Drittel der Mitglieder ist noch nicht älter als 30 Jahre. 

Das anlässlich des Gemeindejubiläums 2013 auf dem Kirchplatz errichtete Denkmal erinnert mit den Worten Adolph Kolpings an den bleibenden Auftrag: „Wer Menschen gewinnen will, muss das Herz zum Pfande einsetzen.“

Josef Ziegler, 2021